Versionsgeschichte

Inklusions-Chart: Vom IC3 zum IC4

Mit dem Inklusions-Chart, das hier in der bereits vierten Version vorgestellt wird, wurde ein Instrument entwickelt, mit dem die wesentlichsten Daten zur Lebenslage der KlientInnen eingeschätzt und zur Grundlage eines gut ausgewiesenen Unterstützungsdesigns gemacht werden können.

Weiterlesen...

IC3

2012 legte Peter Pantuček die dritte Version des Inklusionscharts vor. Die neue Version enthielt eine Reihe kleinerer Anpassungen, die Resultat eines Forschungs- und Entwicklungsprozesses waren, der 2010/11 an der FH St. Pölten in Zusammenarbeit mit einigen Praxisorganisationen stattfand. Unter der Leitung von Peter Pantuček und Sabine Sommer waren Sabine Grünzweil, Marlene Paul, Verena Rameseder und Corinna Sattler als Forscherinnen beteiligt. Das Team begleitete den Einsatz des Verfahrens in Organisationen der Suchthilfe, der Sachwalterschaft (entspricht in D: Betreuung) und einem Jugendamt, beobachtete Anwendungsprobleme und erarbeitete Lösungsvorschläge. In Laborinterviews wurde der Interviewverlauf beobachtet, aufgezeichnet und ausgewertet. Erstmals wurde der offene Einsatz in der Beratung empfohlen.

Für das gesamte Chart wurde die Nomenklatur überarbeitet. In Anlehnung an Klassifikationssysteme wird nun von 3 Achsen gesprochen, deren jede mehrere Dimensionen abbildet. Die wesentlichen Änderungen gegenüber der IC2 sowie Erläuterungen zur Handhabung sind im Manual (pdf) nachzulesen. Peter und Kitty Luedke ergänzen 2013 die bestehenden Formulare durch ein Visualisierungstool (Beispiel siehe unten).

Beispiele

Kitty und Peter Luedtke: Pippi Langstrumpf (incl. Visualisierung) (pdf)

Nena Bauer: Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in Heimunterbringung (pdf)

Ingrid Kramer: Betroffene häuslicher Gewalt (pdf)

Martina Lehner: Betreutes Wohnen, Eigendiagnose: depressive Verstimmung (pdf)

IC2

Nachdem die erste Version des Instruments in der Sozialarbeitspraxis interessierte aufgenommen wurde, dienten die Rückmeldungen als Ausgangspunkt einer umfangreichen Überarbeitung. 2009 wurde die neue, erweiterte Version IC2 veröffentlicht, die den Bedürfnissen der Praxis noch besser angepasst war.

Die Änderung besteht vor allem in der Erweiterung um einen zweiten und dritten Teil. Während der erste Teil Inklusion/Exklusion in gesellschaftliche Funktionssysteme kartiert, ist der zweite Teil bedürfnisorientiert. In ihm wird der derzeitige Stand der Existenzsicherung eingeschätzt. Damit reagiere ich auf die zahlreichen Rückmeldungen aus der Praxis, die v.a. das Fehlen der Dimension „Wohnen“ bemängelten. Im dritten Teil werden die personalen Bedingungen in den Blick genommen, also in einem weiten Sinne die körperliche/psychische Ausgangslage. 

In der ersten Version war das Instrument auf Fragen der Inklusion in Funktionssysteme beschränkt. Existenzielle Bedürfnisse wie z.B. „Wohnen“ waren dabei unberücksichtigt geblieben, weil die Befriedigung dieser Bedürfnisses auf sehr verschiedene Art erfolgen kann, z.B. durch den Kauf oder die Miete einer Wohnung auf dem freien Markt (dafür wären die Inklusion in die Funktionssysteme Arbeitsmarkt und Geldverkehr eine Voraussetzung), oder durch Substitute (Sozialwohnung, Heim). Die Entscheidung, Inklusion/Exklusion in gesellschaftliche Funktionssysteme als zentrale Unterscheidung für dieses Instrument zu wählen, wäre damit unterlaufen worden. Durch die Beifügung zweier Dimensionen können nun weitere für die Praxis der Sozialen Arbeit wichtige und interventionsbegründende Lebensbedingungen über das Instrument erfasst werden.

Die zweite Version akzeptiert, dass Soziale Arbeit nicht nur / nicht ausschließlich Fragen der Inklusion/Exklusion bearbeitet, sondern dass sie in ihrem Zugriff auf Möglichkeiten der Bereitstellung von Substituten für „normal“ via Inklusion zu erlangende „LebensMittel“ die Bereitstellung von Substituten über die Ressourcen des Sozialwesens organisiert. Insofern ist für sie nicht nur die Inklusion der KlientInnen in die Funktionssysteme interessant, sondern auch das Niveau der bedürfnisadäquaten Substitution. Folgerichtig muss bei Interventionsentscheidungen die Dimension der aktuellen Bedürfnisbefriedigung  mitbedacht werden. Anders formuliert: Wenn KlientInnen ihre Bedürfnisse über die Teilhabe an gesellschaftlichen Funktionssystemen befriedigen können, hat Soziale Arbeit nichts zu tun. Wenn sie das nicht können, dann gibt es immer noch verschiedene Niveaus der substituierten Befriedigung von Bedürfnissen, die nicht gleich gültig sind. Für die Begründung sozialarbeiterischer Interventionen muss also neben der Frage der Inklusion/Exklusion noch das Maß der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse herangezogen werden. Dies umso mehr, als die Existenzsicherung die Basis für die Möglichkeiten aktiver gesellschaftlicher Teilhabe der KlientInnen darstellt.

In seiner neuen Version vereint das Instrument die Dimensionen Inklusion/Exklusion mit der Dimension der existenziellen Bedürfnisse und der Dimension der im weitesten Sinne körperlichen Basis. Auch diese Fassung solte von der Fachkraft allein ausgefüllt werden. Erstmal wurde jedoch darauf hingewiesen, dass der offene Einsatz, also in Anwesenheit von KlientInnen, denkbar wäre, jedoch noch keinerlei Praxiserfahrungen hierzu bekannt waren. 

IC1

Ziel der 2005 veröffentlichten ersten Fassung des Inklusions-Charts war es, die wesentlichen Faktoren sozialer Einbindung und Sicherung in einer übersichtlichen Form zusammenzufassen, um Entscheidungen über Interventionen klarer treffen und nachvollziehbar machen zu können. Auf diese Weise wurde ein übersichtliches Instrument entwickelt, das konkrete Daten (Einkommen, Versicherungsstatus, Unterhaltsverpflichtungen etc.) mit Schlussfolgerungen und Interventionsentscheidungen verbindet. 

Die Chart zählt einige wichtige Funktionssysteme auf. Die Inklusion der KlientInnen wird auf einer 5-teiligen Skala anhand von Indizien beurteilt. Inklusion bezieht sich hier einerseits auf die Mechanik des Systems, andererseits auf die subjektiven Bedingungen der Person. Die Auswahl der Funktionssysteme erfolgte pragmatisch. Zwei wurden bewusst nicht in das Chart aufgenommen: Wohnen und das Sozialsystem. In späteren Fassungen fanden hier Veränderungen statt.

Neben der Einschätzung der derzeitigen faktischen Inklusion wird in einer eigenen Spalte die Tendenz festgehalten – dies wurde in allen späteren Fassungen beibehalten. In kompakter Form kann so die Dynamik des Prozesses erfasst werden, was ein weiteres Indiz für die Dringlichkeit/Möglichkeit unterstützender Interventionen ist. 

Die Kennzeichen-Spalte dient der Explizierung der Einschätzung. Hier sind vor allem die Indizien/Fakten festzuhalten, die zur Einstufung auf der 5-teiligen Skala geführt haben. Die Analyse sollte schließlich zu einem begründeten Interventionsdesign führen. Die Maßnahmen-Spalte gibt dazu Gelegenheit, Interventionen, die aus der Analyse entwickelt wurden, zu explizieren.

Diese erste Fassung des IC sah noch keine kooperative Diagnostik vor, das heißt, sie wurde von der Fachkraft allein ausgefüllt.

 

Diskussion

Das Instrument dient zur Analyse der Inklusionsmöglichkeiten in die umfassenderen gesellschaftlichen Funktionssysteme. Es ist nicht geeignet, Probleme bei der Absicherung basaler Bedürfnisse darzustellen, die bei weitgehender Exklusion auftreten. Zum Beispiel traten bei der Anwendung des Rasters auf Fälle niedrigschwelliger Einrichtungen für KonsumentInnen illegaler Suchtmittel Probleme auf, weil außer der Feststellung des weitgehenden Ausschlusses aus nahezu allen hier angeführten Systemen die drängendsten Probleme innerhalb des Rasters nicht dargestellt werden konnten, z.B. die Suche nach einer Unterkunft und die Aufrechterhaltung einer minimalen körperlichen Hygiene.

Offensichtlich ist das Instrument IC in der Lage, den Ausschluss von Personen aus den wichtigsten gesellschaftlichen Funktionssystemen darzustellen (und ev. Ansätze für Chancen der Inklusion zu finden). Nicht aber kann es Lebensbedingungen beschreiben, die sich außerhalb dieser Systeme formieren. Das fokussiert den Einsatz des Instruments auf Beratungs-/Unterstützungsprozesse mittlerer Dauer und macht ihn bei KlientInnen produktiver, bei denen zumindest nennenswerte Reste von Inklusion feststellbar sind.

 

Formular:

integrachart

Ein auf Arbeitsvermittlung abzielendes Case Management braucht ein gleichermaßen praktikables wie theoretisch abgesichertes Dokumentationstool. Nur so kann der für ein Case Management typische Kreislauf von Diagnose, Interventionsplanung, Interventionssteuerung und -durchführung sowie schließlich Evaluation konsequent und systematisch umgesetzt werden.

Prospect Unternehmensberatung entwickelte in Kooperation mit Dr. Peter Pantucek das für den sozialarbeiterischen Kontext entwickelte Inklusions-Chart (IC2)1 zu einer so genannten integra chart weiter. Im Vergleich zur Ursprungsversion verändert wurden dabei insbesondere 

  • die Dimensionen – diese wurden an den Gegenstand Arbeitsmarktintegration angepasst und orientieren sich im Wesentlichen an jenen Dimensionen, die im Kontext von Beschäftigungsfähigkeit diskutiert werden.
  • die weitestgehend standardisierte Ausformulierung der Ausprägungen der einzelnen Dimensionen.

Eine Weiterentwicklung der Ursprungsversion wird hier ausführlich dargestellt. In der Weiterentwicklung wurden die praktischen Erfahrungen in der Nutzung dieses Chart im Rahmen des Wiener Pilotprojektes Step 2 Job im Vorfeld der Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung berücksichtigt.

 

Literaturhinweise

Apel, Helmut / Fertig, Michael (2009): Operationalisierung von „Beschäftigungsfähigkeit“ – ein methodischer Beitrag zur Entwicklung eines Messkonzepts. In: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung Jg. 42.  S. 5-28.

Hausegger, Trude (Hg.) (2012): Arbeitsmarktbezogene Diagnostik und Wirkungsorientierung. Wien, Köln, Weimar.

ICger_stationär

Basierend auf der IC3 entwickelte Angelika Neuer icger_stationär für das Arbeitsfeld alter Mensch, speziell Sozialarbeit im Kuratorium Wiener Pensionistenhäuser. Zentrale Unterschiede zum Standardformular betreffen etwa das Funktionssystem Arbeitsmarkt (nicht mehr relevant, wohl aber Einkommen durch Pension, Mindestsicherung, Pflegegeld), die Geschäftsfähigkeit, die Mobilität innerhalb und außerhalb der Unterbringung. Nachdem Lebensmittel üblicherweise gesichert sind, sind im Bereich der Existenzsicherung andere Güter des persönlichen Bedarfs von Bedeutung. Im Rahmen der Funktionsfähigkeit wurden ebenfalls zusätzliche Differenzierungen getroffen. Wichtiger als Sorgepflichten erscheinen die Selbstsorgefähigkeiten.

Das adaptierte Formular incl. Manual steht zum Download zur Verfügung: icger_stationär (.doc)

 

Bei Herbstsymposium 2015 des Ilse-Arlt-Instituts in St. Pölten stellte Frau Neuer die IC_ger vor. Wir freuen uns, hier ihre Präsentation dokumentieren zu können.

 

ICref

Ergänzend zur Inklusionschart hat Refugio München einen Fragebogen für die Beratung von Flüchtlingen und Folteropfern entwickelt. Neben Leitfragen zu den im IC3 erhobenen Faktoren findet sich darin Punkte wie Sprachkompetenz, Relevanz von Religion und ethnischer Zugehörigkeit und weiterem HelferInnensystem.

Download: Fragebogen Refugio (.doc)